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Schweigen ist eine Last, Erzählen auch

„What happens however when lives do not present themselves as a story? When key ‚pieces‘ are missing? When the story that is presented ‚doesn’t make sense‘?“ (Yngvesson/Mahoney, 2000, S. 80)

Eigentlich könnte ich einen Eintrag dafür verwenden, die Geschichte meiner Adoption zu erzählen. Die eigene Geschichte zu kennen und über die eigene Geschichte erzählen zu dürfen, war für adoptierte Personen nicht immer selbstverständlich: Es ist ein hart erkämpftes Recht von adoptierten Aktivist:innen, von dem ich profitiere.

Aber mit dem Erzählen hatte ich immer meine Probleme und ich bekam höchstens Bruchstücke hervor. Am ehesten fühlte ich mich zum Erzählen animiert, wenn andere NICHT wollten, dass ich über Adoption spreche. Mein innerstes Bedürfnis, verstanden zu werden, erfülle ich mir damit allerdings nicht. Das liegt nicht nur an meinem Gegenüber, sondern auch an dem Gefühl, dass ich erst eine Sprache dafür erfinden muss. Vorher kann ich mich nicht verstanden fühlen, es nicht einmal selbst begreifen. Allerdings muss ich es üben, es in Worte zu fassen, aber jeder gescheiterter Versuch frustriert mich.

Die Tatsache, dass ich diese Artikel nur schreiben kann, nachdem ich in meiner Freizeit einiges über Adoption gelesen habe, zeigt erst, dass ich nicht einfach so aus der Schule plaudern kann. Ich sehe ein, dass der Versuch, meine Geschichte in eine lineare, verständliche und gar unterhaltsame Erzählung zu pressen, scheitern muss, weil ich es hier mit einer schwer zugänglichen, nicht-linearen und einer langwierigen Geschichte zu tun habe. So gesehen ist meine „Salamitechnik“ genau die treffenste Art, über meine Erfahrungen zu sprechen.

Deshalb gibt es statt meiner Adoptionsgeschichte einen Beitrag über das Erzählen aus der Perspektive einer Adoptierten.

Denn es ist eine Illusion, dass ich einfach meine Geschichte vorbringen und mir sicher sein könnte, dass ich verstanden werden würde.

Erzählen bedeutet nicht bloß, die nackten Tatsachen darzulegen. Selbst wenn ich das tun würde, Zuhörer:innen interpretieren immer etwas in diese Fakten hinein. Nicht nur das, sie verwenden dafür wahrscheinlich die bekanntesten Interpretationsmuster, die in unserer Kultur bekannt sind. Mit diesen bin ich aufgewachsen: Adoption, die undankbare Adoptivkinder hervorbringt, Adoption als tragische Geschichte, Adoption als Ungerechtigkeit, eine kolonialistische Praxis und Geschäft. Das hat wenig Platz für Alternativen geboten, und ich habe selbst mich und meine Geschichte durch diese Muster interpretiert, etwas, was mich regelrecht zerrissen hat. Bin ich in dieser Geschichte das  böse, undankbare Adoptivkind, das eine Last für die Adoptiveltern ist, oder bin ich ein bemitleidenswertes Wesen, dass nach dem „tragischen Verlust“ der ersten Eltern unwiderufbar in ihrer Entwicklung beschränkt ist?!

Ich könnte meine Geschichte gleich mehrmals erzählen, je nachdem, ob ich die tragische Heldin dieser Geschichte sein will oder ein zu lösendes Dilemma, die Antagonistin meiner eigenen Geschichte. Meine Obsession mit Erzählen und Fiktion rührt auch daher.

Das hat mich in Konflikte gestürzt und zudem mich gelehrt, wenig über meine Geschichte preis zu geben. Denn wenn ich die Tatsachen vorbringen, muss ich auch eine gute Interpretation den Zuhörer:innen geben, ansonsten habe ich keine Kontrolle darüber, wie andere mich und meine Geschichte beurteilen und sehen. Und wenn ich etwas von meinen Adoptiveltern und von meiner Adoptionsgeschichte gelernt habe, dann, dass es überlebenswichtig ist, dass andere ein positives Bild von dir haben. Oft genug habe ich aus Rebellion, aus Nachlässigkeit oder aufgrund anderer Prioritäten nicht darauf geachtet, wie andere mich sehen, und das hat sicherlich verhindert, dass ich meinen Verstand verloren habe! Die Lektion ist dennoch angekommen und je mehr ich über Adoption lese, umso mehr verstehe ich, warum. Wie Yngvesson und Mahoney schreiben, habe ich erfahren müssen, dass bereits die eigene Geschichte, wenn sie von den in unserer Kultur dominanten Erzählungen abweicht, schon zu einem potentiellen Außenseiter macht (Yngvesson/Mahoney, 2000, 80). Sie „richtig“ zu erzählen, kann da den Unterschied machen, ob man sich verstanden und dazugehörig fühlen kann.

Sich darum zu kümmern, wie andere mich sehen, ist zwar eine Menge Arbeit, aber es ist ein Versuch, Kontrolle über das eigene Schicksal zu haben. Wenn man es so sehen will, sind auch meine Auslassungen eine Art von Kontrolle. Warum auch nicht, wenn die üblichen Interpretationen von Adoption mich schon störten, wenn ich sie an mich selbst anwandte, da wollte ich sie nicht auch noch von anderen hören. Ich vermied sogar, über Adoption zu lesen, weil ich befürchtete, dann wieder auf die Frage zu stoßen, wie geschädigt adoptierte Personen wohl seien. Mit dieser Frage hatte ich schon genug Stress.

Dazu kam auch noch, dass ich, wenn ich erzählte, an der Stelle von vielen Adoptierten erzählen müsste. Selbst wenn die Fragenden nicht davon ausgehen, es ist mir äußerst bewusst, dass adoptierte Personen noch immer darum kämpfen müssen, gehört zu werden. Das fühlt sich für mich wie eine zusätzliche Pflicht an.

Zu guter Letzt wird mir auch klar, dass es sich manchmal so anfühlte, als sollte ich die Entscheidungen, die andere in meiner Kindheit gefällt hatten, erklären und rechtfertigen. So vieles an der Geschichte betrifft Dinge, die ich damals kaum verstanden habe, was ich nur allmählich mit der Zeit begriffen habe und mit dem ich trotzdem nicht einverstanden bin. Aber jetzt werde ich ausgefragt, vielleicht auch von Leuten, die nur schnell ihre Neugierde befriedigen wollen oder ihre Einstellungen bestätigt sehen wollen. Als Adoptierte war ich oft ein Kuriosum, und es ist anstrengend, eines zu sein, wenn ich von so vielen Seiten Vorurteile bekämpfen muss.

Wir adoptierten Personen brauchen mehr Bildung und Raum, uns zu erforschen, Stereotype zu hinterfragen und Gegennarrative zu formulieren.

Yngvesson, Barbara/Mahoney, Maureen A. (2000): ‘As One Should, Ought and Wants to Be’. Belonging and Authenticity in Identity Narratives; Theory Culture Society, 17; 77-110

2 Antworten zu „Schweigen ist eine Last, Erzählen auch”.

  1. Ja, leider ist das so. Sehr treffen Worte. „Aber du warst doch noch klein“ ist meine absolute Hassbemerkung. Selbst Psychiater und Psychologen können mit den Traumata von Adoptierten nicht viel anfangen. 😩🤷‍♂️

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    1. Dabei merken diese Psychologen und Psychiater nicht, dass gerade WEIL man ja noch klein war, gewisse Traumata besonders schwer sein können.

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