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Erdrückende Pflichten: Dankbarkeit und Loyalität

„Dir geht es jetzt ja gut, warum kannst du nicht einfach glücklich sein?!“

Photo by Vie Studio on Pexels.com

Ich weiß, was in meinen ersten Lebensjahren passiert ist und bin zum Schluss gekommen, dass die Freigabe zur Adoption eine gute Entscheidung war. Dennoch war mein Leben in meiner Adoptivfamilie nicht immer leicht. Als ich mich einmal einer Bekannten meinen Frust darüber anvertraute, war ihre Antwort darauf, dass ich trotzdem es bei ihnen besser habe als in meinem Herkunftsland.

Diesen Kommentar finde ich inakzeptabel. Nur, wer seine Vorurteile nicht untersucht hat, empfindet die beiden vorhergegangenen Aussagen als widersprüchlich. Die Adoption war eine gute Entscheidung für mein Leben – und ich hasse die Appelle an meine Loyalität und Dankbarkeit. Da gibt es keinen Widerspruch.

Loyalität und Dankbarkeit werden wohl auch von nichtadoptierten Kindern gefordert (Bastam, 2018). Aber bei Adoptierten nimmt diese Forderung eine eigene Form an. Die Aufforderung, dankbar zu sein, entspricht der weit verbreiteten Erzählung, dass Adoption für adoptierte Personen unbedingt ein positives und glückliches Ereignis sein muss. Bereits zu erwähnen, dass ich in meinem jetzigen Leben unzufrieden bin, wird gleich als Gefahr gesehen – als möglicher Verrat, als mögliche Annullierung der Adoption, als mögliche UNDANKBARKEIT.

Eltern und Angehörige, die dann objektive Gründe anführen wollen, dass es einem doch viel besser geht und dabei vielleicht materielles Wohlergehen anführen, sagen nicht das aus, was sie vielleicht meinen zu sagen. Ich finde gut, die guten Seiten des Lebens festzustellen und zu schätzen. Aber bei den Appellen an die Dankbarkeit steckt eine andere Botschaft dahinter: „Sei froh, dass deine Adoptiveltern durchgefüttert haben.“ In einer Zeit, in der immer öfter betont wird, dass Kinder ihren Eltern nichts schulden (Bastam, 2018), kann es nicht sein, dass Adoptierte immer noch damit belastet werden. Und wenn sie dabei sowieso nur materielle Leistungen auflisten können, dann stellt sich die Frage, ob eine Fernpatenschaft da nicht eine bessere Lösung wäre. Ich jedenfalls stimme meiner Adoption nicht bloß aus materiellen Vorzügen zu, auch wenn ich froh um sie bin. Oftmals verbergen sich hinter den Argumenten zudem latenter Rassismus, oder, in meinem Fall, Ausländerfeindlichkeit.

Während ich dies nicht erlebt habe, fühlen sich manche adoptierten Personen wie Verräter gegenüber den Adoptiveltern, weil sie mehr über ihre leibliche Herkunft und Geschichte wissen wollen, aus dieser Perspektive spricht auch Beauchesne (Beauchesne, 1997, S. 112). Die banale Anerkennung der Tatsache, dass adoptierte Personen auch Teil einer anderen Familie sein können, kann Eltern oder Angehörige irritieren, weil es dem klassische Familienmodell widerspricht (Beauchesne, 1997, 60). In diesem Fall werden die Unsicherheiten der Adoptiveltern, die sie über ihre Familienform haben, auf die Adoptivkinder abgewälzt (Beauchesne, 1997, S. 145). Durch unausgesprochene Forderung nach Dankbarkeit und Loyalität wird die Realität übergangen, dass adoptierte Personen Probleme mit ihren Eltern, dass sie sogar ein ausgesprochen schlechtes Verhältnis zu ihnen haben können. Genauso wie wir nicht wollen, dass das Argument Verwandtschaft nichtadoptierte Menschen zwingt, sich Misshandlungen von diesen gefallen zu lassen (Bastam, 2018), genauso sollte dies nicht von Adoptierten verlangt werden.

Angst vor Ablehnung und Verlassenwerden, ist das, was Adoptierte „unauthentisch“ werden lässt – sie verstellen sich zuliebe ihrer Angehörigen – was adoptierten Personen dann wieder vorgeworfen wird. Bereits als Kind mich für irgendwas nach einer Aufforderung bedanken zu müssen, fühlte sich für mich wie eine Lüge an, selbst wenn ich vorher aufrichtige Dankbarkeit empfunden hatte. Ich fürchtete mich, dass die anderen, die die Aufforderung mitbekommen hatten, das Wort nicht als aufrichtig empfinden würden. Wenn ich mich allerdings geweigert hätte, wäre ich wohl als trotzig und auch als undankbar gesehen worden, glaubte ich. Diese inneren Konflikt zerriss mich lange, selbst in den Momenten, in denen ich es analysieren kann. Es ist ein innerer Konflikt, der Adoptierte lebenslang begleiten kann und ihre Selbstwahrnehmung beeinflusst (Yngvesson, 2000, 83). Es kann sein, dass sie sich gezwungen sehen, sich für das eine oder das andere zu entscheiden, dadurch immer sich unerfüllt fühlen, oder versuchen, beide Bedürfnisse unzureichend zu befriedigen. Dieser Konflikt sich äußerst existenziell anfühlen, da er aus dem menschlichen Bedürfnis, sich dazugehörig zu fühlen, entstammt. Adoptierte unterscheiden sich von Nichtadoptierten, die bei ihrer leiblichen Familie aufwachsen, dass sie diesen Konflikt öfter durchmachen müssen, sich ihrer Zugehörigkeit nicht sicher sein können und kann für sich für sie besonders bedrohlich und traumatisierend anfühlen (Beauchesne, 1997, 185, S. 144-145). Schon aus diesem Grund müssen Adoptierte, selbst wenn sie froh um ihre Adoption sind, die Forderung nach Dankbarkeit deutlich von sich weisen.

Diese Appelle kommen zwar oft aus den Mündern von einzelnen Menschen, doch sie entstammen aus alten kollektiven Vorstellungen, was FAMILIE sein soll.

„In Western culture, the conception of family is predicated on the primacy and exclusivity accorded to the biological connection between parent and child (Miall, 1987). (Beauchesne, 1997, S. 5-6)

Diese Vorstellungen positionieren aufgenommene Personen als ein Ersatz für die „eigenen“, „leiblichen“ Kinder, oder als eine „Zugabe“ zu den leiblichen. Adoption wird somit als wohltätige Geste angesehen. Selbst als wohltätiges Projekt interpretiert zu werden ist die Garantie für Minderwertigkeitskomplexe.

Obwohl meine Eltern betonten, dass sie die Adoption nicht als Wohltat ansahen, nahmen bei mir Schuld– und Pflichtgefühle schon als Kind die Überhand. Je mehr mir in meiner späten Kindheit bewusst wurde, dass die komplexe Realität der Adoption von anderen nicht verstanden wird, umso mehr fühlte ich mich an meine Adoptiveltern in einer besonderen Art und Weise verbunden. Dabei handelte es sich nicht nur um Schuldgefühle, sondern auch darum, dass sie die einzigen wahren, welche die Adoptionserfahrung aktiv zu verstehen versuchten. Das ließ mich auch oft isoliert fühlen, denn meine Eltern scheiterten in dem Versuch öfters. Appelle an meine Dankbarkeit waren ein eindeutiges rotes Tuch für mich, für Appelle an meine Loyalität war ich eher empfänglich. Loyalität bedeutet für mich Zugehörigkeit, es kann sogar das bedeuten, was FAMILIE eigentlich für mich bedeutet. Loyal zu meiner Adoptivfamilie zu sein, bedeutete für mich, zu meiner Identität als Adoptierte und zu meiner Geschichte zu stehen, weil beides unmittelbar verbunden zu sein schien. Meine Adoptiveltern hatten exklusive Erinnerungen an die Adoption, die sonst niemand hatte.

Aber es zerriss mich auch. Loyalität setzt immer eine Entscheidung für jemanden oder etwas voraus – und hier sind die inneren Konflikte vorausgesetzt, die Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene überfordern. Diese fangen die betreffenden Personen in Kreisläufe von  Schuld– und Schamgefühle, alles Gefühle, die einen Menschen belasten, verhindern, dass er sich frei äußern kann (Beauchnese, 1997, S. 72). Jene adoptierten Personen, welche beide Familien anerkennen und ihnen den passenden Raum in ihrem Leben geben wollen, stehen vor einer großer Herausforderung, denn ihnen fehlen dazu meist nicht nur die Modelle, sondern sie hinterfragen dabei auch dominante Vorstellungen über Familie. Wenn sie das hinterfragen, was ganz viele Menschen selbstverständlich nehmen (dass man nur zu einer Familie gehört, dass man mit der blutsverwandt ist), können sie auf viel Unverständnis stoßen. Wie ich begann, meine Eltern in der Jugend kritischer zu sehen, begann ich auch, ihre Erzählungen und Interpretation über meine Adoption zu hinterfragen (das hat mich motiviert, selbst nach meiner Herkunftsfamilie zu suchen). Dieses Hinterfragen verunsicherte meine Eltern, meine Mutter fragte dann: „Findest du die ganze Adoption schlecht?!“, worauf sie vehement ihre Entscheidung zur Adoption verteidigte. Das führte zu einigen frustrierenden Gesprächen zwischen uns.

Teil davon war auch ihre Befürchtung, dass ich meine Eltern blamieren konnte. Sie waren so erzogen worden, aber zusätzlich fühlten sie sich als Adoptiveltern ständig unter Rechtfertigungsdruck. Bloß nicht auffallen, niemals in die Kritik geraten. Deshalb war das jedes Mal ein Drama, wenn ich als Jugendliche ungelenk in Fettnäpfchen trat, oder auch nur in den Verdacht geriet, etwas falsch gemacht zu haben. „Was werden die Leute nur sagen!“, war Teil der gefürchteten Standpauke. Ich hatte die ganze Familie bloßgestellt, das war die Implikation, auch bereits ein Verrat. Dazu muss ich gesagt werden, dass die Unsicherheit von Adoptiveltern nicht aus dem Nichts kommen. Deren Elternschaft steht viel öfter zur Debatte als die von leiblichen Eltern. Ich vermute, dass meine Zweifel sie daran erinnerten.

Eine weitere Form, in der mich Loyalität (und letztlich auch Dankbarkeit) belastet, ist das Gefühl, gleich meine Herkunftsfamilie als auch meine Adoptivfamilie stolz machen zu müssen. Ich habe davon gehört, dass Liebe nicht durch Leistung erlangt werden kann, aber wie steht es mit Zugehörigkeit und Anerkennung? Das quält mich besonders in den Zeiten, in denen ich nicht Leistungen vorzeigen kann.

Die unausgesprochene Pflicht zur Dankbarkeit schädigt Adoptierte besonders, wenn sie als Glückseligkeit gezeigt werden soll. Diese Erwartung habe ich selbst erlebt. Ab meiner Jugend hatte ich immer wieder Wutausbrüche und üble Launen, sicherlich für niemanden angenehm, denen beizuwohnen. Aber einige interpretierten dies in der Art, dass ich zu sehr an der Vergangenheit festhielt, nicht zu schätzen wisse, dass es mir jetzt gut geht. „Dir geht es jetzt ja gut, warum kannst du nicht einfach glücklich sein?!“ Ein Satz, der mir nie geholfen hat. Ein Satz, der meine Schuldgefühle nur verstärkte. Während also nichtadoptierte Personen, die nicht ihre ersten vier Jahre in rumänischen Heimen verbracht haben, unzufrieden und unglücklich sein und dies zeigen dürfen, dürfte ich mich also nicht unzufrieden sein – denn das wäre Undankbarkeit. Hier werden zwei Standards angewandt.

Egal, warum ich nun unglücklich bin: Sei es, weil mich Traumata heimsuchen, sei es, weil ich bescheuerten Liebeskummer habe, diesen Kummer zu zeigen kann für mich als Adoptierte ein Akt der Rebellion werden. Ich nehme mir das Recht heraus, mich schlecht zu fühlen. Ich will mich nicht schlecht fühlen. Aber ich erlaube mir, Trauer, Niedergeschlagenheit und Wut zu fühlen und mitzuteilen, wie andere Menschen auch. Der Druck, ständig glücklich für andere sein zu müssen, macht erst recht unglücklich. Es gefährdet die psychische Gesundheit, welche die Betroffenen und deren Angehörigen in Mitleidenschaft zieht. Das ist eine Gefahr, die nicht durch den Adoptionsprozess gefördert wird, sondern durch strickte Familiennormen.

Normen, die ganz enge Vorgaben machen, was Familie zu sein hat, geben auch enge Vorgaben, wie Adoptierte zu sein zu haben: dankbar und loyal. Mir hilft es im Alltag, meiner Spontanität nachzugehen: Wenn ich mich spontan dankbar fühle, dann fühlt es sich auch gut an, dies zu zeigen. Diese drückende Pflichten werden wir allerdings nur los, wenn wir auch die Normen dahinter ändern.

Quellen

Beauchesne, Lise M, (1997): As if born to. The social construction of a deficit identity position for adopted persons; Wilfrid Laurier University.

Yngvesson, Barbara/Mahoney, Maureen A. (2000): ‘As One Should, Ought and Wants to Be’. Belonging and Authenticity in Identity Narratives; Theory Culture Society, 17; 77-110

Bastam, Charlotte (2018): Was sind wir unseren Eltern schuldig?. Nichts, sagt Philosophin Barbara Bleisch; https://www.jetzt.de/liebe-und-beziehung/ein-gespraech-mit-der-philosophin-barbara-bleisch-darueber-warum-wir-unseren-eltern-nichts-schulden; (Zugriff: 02.04.22)

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